Ein Reisebericht in vier Akten
Episode I - Donnerstag, 5. Juni 2014
Manchmal wache ich auf, wenn mein Nachbar um 03:45 von einer
Mittwochabendparty nach Hause kommt. Manchmal lege ich mein Buch beiseite, wenn
mein Nachbar um 03:45 von einer Freitagabendparty nach Hause kommt. Manchmal
gehe ich gerade zum fünfzehnten Mal aufs Klo, weil es schon wieder so hell ist,
dass ich nicht schlafen kann, wenn meine Nachbarin um 03:45 schon ebendort ist.
Und einmal klingelte mein Wecker, als mein Nachbar um 03:45
von einer Mittwochabendparty nach Hause kam. An diesem Donnerstagmorgen galt es
nämlich, den Flughafenbuss um 05:00 zu erwischen, denn um halb sieben ging der
Flieger nach Amsterdam mit anschließender Weitereise nach Cork, Irland. Es
galt, der wunderbaren Bücherwurmfreundin Kaline nach einem halben Jahr endlich
einmal einen Gegenbesuch abzustatten und die befindet sich momentan als Au pair
in Irland. Gebettelt hatte ich ja nun lange genug.
Eine Portion Haferbrei und einen großen Kaffee später saß
ich leicht verzweifelt auf Platz 17A des Fluges KL 1184 von BGO nach AMS und
versuchte zu ergründen, warum in aller Welt ich noch keinen Boarding Pass für
den Flug KL 3171 von AMS nach ORK hatte – schließlich handelte es sich doch um
die gleiche Fluggesellschaft! In 1h 15 min konnte doch keiner von mir
verlangen, ganz aus- und dann wieder einzuchecken, und dass nur, um an den
blöden Zettel mit der nächsten Sitznummer zu kommen! Ein einfacher Satz ala „It
might be a stupid question, but …“ gerichtet an die knallblau gekleidete
Flugbegleiterin mit dem beneidenswert orangen Halstuch hätte das Problem
vermutlich lösen können, aber Ravna ist weltgewandt, bereist und schüchtern und
meine Verzweiflung löste sich daher erst auf, als ich in Amsterdam vor dem
wunderbaren Schild mit der Aufschrift „Self-service transfer“ stand und der
hellblaue Automat mir ohne zu murren einen weitere Karte ausdruckte. Schipohl
ist riesig, aber im Gegensatz zu Frankfurt weiß man hier, wie man
Hinweischilder anbringt und ein paar Kilometer später stand ich in der nächsten
Schlange und hielt meinen neuen Boardingpass sorgfältig über die Schrift auf
der Vorderseite des kleinen dunkelroten Büchleins, dass seit Jahren niemand außer des norwegischen
Einwohnermeldeamtes hatte sehen wollen – eine richtige echte Passkontrolle!
Aber wenn ich schon in der Schlange für die Sonderlinge „EU-Bürger“ stehe, muss
ja nicht gleich jeder wissen, dass ich meine Nationalität mit dem laut
lamentierenden Besitzer der quietschgelben Krawatte drei Personen vor mir
teile.
Der Flug nach Cork ist auch nicht ganz pünktlich, aber
einmal angekommen finde ich sowohl den Fahrkartenautomaten als auch den
richtigen Bus auf Anhieb, vergesse nicht einmal, meine Uhr umzustellen und
stehe kaum eine halbe Stunde später in der Stadt am Busbahnhof. Irland sieht
aus wie Norwegen, nur ohne Berge, es gibt mehr Kühe und alles ist tatsächlich
ziemlich grün. Ich kann meinen Rucksack für den Tag in einem
Tintenpatronenauffülladen unterbringen und danach gilt es erst einmal ganz
klischeehaft, die vielen Autos zu bewundern, die mit leerem Fahrersitz auf der
falschen Seite der Straße daherkommen.
Ravna ist weltgewandt und bereist und daher ist es Jahre
her, dass ich das letzte Mal in einem tatsächlich fremden Land war – im
Supermarkt finde ich ein Sandwich und eine Flasche Wasser, aber das System
hinter den Kassen bleibt mir verborgen – es sieht aus, als gäbe es ganz normale
Supermarktkassen wie in Norwegen, allerdings ist keine davon in Betrieb. Gleich
daneben schlängelt sich ein aus niedrigen Süßigkeitenregalen aufgebauter Gang
zu einer Barriere, die entfernt an einen Fahrkartenschalter erinnert. Ein paar
Tage später werde ich in Erfahrung bringen, dass es sich dabei um die Kasse für
kleine Einkäufe handelt (wie ein Sandwich und eine Flasche Wasser zum
Beispiel), aber vorerst bin ich froh, dem schnell vor sich hin nuschelnden
Kassierer an der Kasse für Wochenendeinkäufe den richtigen Betrag überreicht zu
haben (wie sehen nochmal die 5-Euro-Scheine aus?).
St. Fin Barre's Cathedral |
Cork steht nicht zu Unrecht auf der Liste über die unterschätzen Städte Europas und nach einigem ziellosen Herumlaufen auf der
ergebnislosen Suche nach einem Buchladen lande ich gemeinsam mit einer
überraschend großen Anzahl amerikanischer Touristinnen in einer wunderschönen
Kirche. Religionen sind mir nach wie vor ein Rätsel, aber irgendwie habe ich
eine Schwäche für Sakralbauten. Eine Frau bitte mich um 2 Euro Eintritt für den
Erhalt des Gebäudes und fragt, wo ich herkomme, um mir einen Flyer in der
passenden Sprache überreichen zu können. Ich gucke sie einen Moment zu lange
verwirrt an und setzte dann auf die Antwort „Uhm, äh, I’m from, uhm, Norway!“,
was mir einen Zettel in englischer Sprache beschert.
Später sitze ich vor der Kirche in der Sonne und esse ein
Tomatensandwich mit Huhn, dem in der gesunden Variante jegliche Mayonnaise und daher
viel Geschmack fehlt, als mich eine SMS von Kaline erreicht, ob ich nicht um
15:45 in Midleton sein könne.
Die Busstation wiederzufinden bereitet meinem eher
rudimentär vorhandenen Orientierungssinn überraschend wenig Probleme, auch wenn
das Überqueren von Nichteinbahnstraßen eine Herausforderung ist. „Rechts,
links, rechts“ ist einfach nicht die Kopfbewegung, die mir einprogrammiert
wurde, seit ich im Alter von 2 Jahren einmal versuchte, bei Rot eine Neuköllner
Straße zu überqueren, und Ampeln scheint es in Irland nur zu geben, damit die Autofahrer
zumindest ein paar Touristen weniger im Jahr über den Haufen fahren – nach fünfminütigem
Warten schalten sie für einige Sekunden auf Grün, was gerade so reicht, um die
Fahrbahn zu überqueren, auf der die Autos aus der falschen Richtung kommen.
Der Busfahrer ist äußerst nett und verspricht, mir Bescheid
zu geben, sobald wir in Midleton sind – denn Haltestellenanzeigen scheinen in
Irland ebenso unbekannt zu sein, wie in Norwegen. Eine halbe Stunde später
stehe ich tatsächlich in der richtigen Stadt und an der richtigen Haltestelle.
Hatte ich vor meiner Reise noch angekündigt, mehr Ahnung von
Quantenphysik zu haben als von Kindern, zeigt sich auf dem Spielplatz nun, dass
ich meine Physikkünste vielleicht doch ein wenig überschätzt habe, denn nichts
ist spannender als Gummiarmbänder binden und Schaukeln anschubsen und sogar
einen halben Kopfstand kann ich noch.
Tesco gibt es tatsächlich sogar in echt und eine Autofahrt
auf einem irischen Beifahrersitz ist eine äußerst faszinierende Angelegenheit.
Kalines Gastmutter macht prima Lasagne und zum ersten Mal seit fast fünf Jahren
bekomme ich heiße Schokolade mit Marshmallows. Das Bett wurde extra für mich
von Spiderman zu rosa-grün mit Blümchen umbezogen (Oh nein!) und nach einem Tag
voller Sonnenschein wird es hier sogar rechtzeitig zum Schlafengehen dunkel.
Fortsetzung folgt …
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