tirsdag 26. august 2014

Vit síggjast!

Die drei Wochen auf den Inseln voller Schafe und netter Leute sind vorbei, und plötzlich sitzt Ravna wieder in Bergen. Unter ihrem Regenschirm.
Plötzlich verstehe ich im Bus wieder, worüber sich die Damen vor mir unterhalten, im Supermarkt gibt es kein vernünftiges Brot mehr (es hat auch seine Vorteile, zu Dänemark zu gehören) und nirgendwo stehen mehr ausländische Autos mit Ferngläsern und zugehörigen Sea-Shepherd-Aktivisten darin.
Und die 28 furchtbar netten Fremden, mit denen ich die letzten drei Wochen verbracht habe, sind auch alle nicht mehr da.
Wenn die Färöer Inseln doch nur auf dem Weg nach irgendwohin lägen, es wäre so viel einfacher, bald wieder einmal hinzufahren.

Am Samstag haben wir eine Abschlussprüfung geschrieben. Da unsere Lehrerin ja ungefähr drei Viertel der Dinge, über die wir gesprochen hatten, von vornherein für zu kompliziert für uns erklärt hatte und der einzig wichtige Satz auf Färöisch sowieso „Ohjaaa, ha?“, ist, war ich nach gut 30 Minuten fertig. Und sah mich leicht verzweifelt und verstohlen um, ob ich irgendetwas völlig falsch eingeschätzt oder vergessen hatte, denn es machte niemand Anstalten, abzugeben. Nach fünf weiteren Minuten kam der Leiter des gesamten Kurses in den Raum gestürmt, und verlangte mitten in der Prüfung den Schlüssel für die Schule zurück, der sich drei Wochen lang in meinem Besitz befunden hatte (Ohne, dass ich ihn ein einziges Mal verlegt hatte! Was zugegebenermaßen auch daran liegen könnte, dass ich ihn ganz einfach nicht ein einziges Mal verwendet hatte.) Nach fünfzig Minuten gab endlich der erste seinen Test ab, was zu allgemeinem Stuhlbeinscharren führte – im Nachhinein stellten wir fest, dass wir alle seit einer halben Stunde nur aufeinander gewartet hatten.  Die andere Klasse brauchte etwas länger – immerhin verlangte ihr Examen, eine Zeichnung Paul Watsons (die natürlicherweise in keinster Weise auf dessen Namensvetter zurückzuführen war).

Am Abend gab es ein Drei-Gänge-Menü mit Fisch, Schaf, Kartoffeln, brauner Soße und Rhabarberkuchen und färöischem Kettentanz. Das machen wir in Norwegen auch manchmal, nur irgendwie fehlt den Norwegern der richtige dramatische Einschlag. 

Der Flug am nächsten Tag ging um 16:35 Uhr, und da der Bus viel zu früh ging, verbrachten wir noch beinahe 3 Stunden auf dem ruhigsten internationalen Flughafen der Welt – auf dem wir sogar das Gepäck unbeaufsichtigt vor dem Check-In-Schalter stehen ließen, weil der noch nicht offen hatte.  Sobald er öffnete, bildete sich davor eine lange Schlange dänischer Rentner. Obwohl ich seit eines Zwischenfalls mit einer Busreisegruppe, meinem Fuß und der Schlange vor der Damentoilette einer Autobahnraststätte vor etlichen Jahren eigentlich einen gesunden Respekt vor in Rudeln auftretenden Repräsentanten der älteren Generation habe, kam ich dieses Mal mit meinem Fuß gegen den Koffer einer pinken dänischen Lady, als ich versuchte, dem Koffer einer anderen, eher grünen Lady auszuweichen. Während ich noch verzweifelt mein Gleichgewicht suchte, stieß mein anderer Fuß ebenfalls gegen den Koffer der pinken Lady – und die drehte sich um, rümpfte auf äußerst unladyhafte Art und Weise ihre Nase und fragte: „Trittst du mich?“ (oder zumindest glaube ich das, bei den Dänen und den vielen fehlenden Buchstaben kann man ja nie wissen.) Ich hätte ihr ja äußerst gern meine Meinung gesagt, am liebsten auf Färöisch, aber Ravna ist ja bekanntermaßen lieb und nett und mimte das Mäuschen vor der Schlange. Entschuldigen Sie vielmals, ich wollte das nicht, ich bin nur gestolpert! 

Ich saß leider auf der linken Seite des Flugzeuges, wodurch mir der Blick auf mein nächstes Reiseziel leider versperrt blieb (Na, wo soll es hingehen?) und zu Essen wurde Sushi serviert, was für zitterhändige Tollpatsche einfach kein geeignetes Flugessen ist.
Nach einem diesmal kurzen Stopp in Kopenhagen ging es nach Bergen – und plötzlich saß ich auf Platz 1B! Ganz vorne! Da, wo man sein Gepäck nicht unter den Sitz des Vordermannes stellen kann! Zwischen einem sehr geschäftigen Geschäftsmann und einem nicht ganz so geschäftigen anderen Mann. Offensichtlich hatte mir mein sündhaft teures Atlantic Airways Ticket im von SAS bedienten Anschlussflug einen Premiumplatz beschert. Ich hätte mir, wie der geschäftige Geschäftsmann, ein Bier und eine Flasche Wein bringen lassen können. Oder, wie der nicht ganz so geschäftige Mann, eine Packung Chips und zwei Cola. Nur Ravna hat noch nie vorher in ihrem Leben ganz vorne im Flugzeug gesessen. Und wusste nicht, wo man da den Tisch ausklappt. Und da sie ein nervöser und schüchterner Tollpatsch ist, hat sie sich deswegen lieber ganz tief in ihrem neuen Wollpulli vergraben und hinter ihrem Buch versteckt und nichts bestellt.

søndag 17. august 2014

Føroyar

Wenn man einen Atlas auf der Seite über Nordeuropa aufschlägt und dann ein Dreieick zwischen Island, Schottland und Westnorwegen bildet, findet man fast genau in der Mitte ein kleines Fleckchen aus 18 Inseln. Kinder der Nullerjahre bevorzugen eventuell die Verwendung von Guugell Maps, aber da muss man dann ja nicht einmal mehr wissen, wie man ein Dreieck bildet. 

Diese kleine Fleckchen im Atlas bestehen hauptsächlich aus Steinen, Gras, Schafen und Meer und nennen sich die Färöer Inseln. Sie gehören irgendwie zu Dänemark, aber nicht zur EU, haben ihre eigene Flagge, Fußballmannschaft und Sprache, und wenn man bei einer der bekanntesten Online-Magazine Deutschlands nach ihnen sucht, erhält man hauptsächlich Artikel über Fischfangquoten und WM-Qualifikationsspiele, bei denen Handspiel ausdrücklich erlaubt ist - bei Sturm muss ein Mitspieler beim Elfmeterschießen den Ball festhalten, damit der nicht vorzeitig wegfliegt.
Die Temperatur liegt eigentlich das ganze Jahr über bei 10°C, und nachdem Ravna bereits vor zwei Jahren festgestellt hatte, dass Barcelona im August für Wahlskandinavier einfach unerträglich ist, erschienen ihr ein paar windige Felsen mitten im Nordatlantik als genau das richtige Sommerurlaubsziel. Und da sie dort auch noch eine nordische Sprache mit unregelmäßigen Verben, drei Geschlechtern und vier Fällen haben, inklusive eines dreiwöchigen Sommerkurses in Tórshavn, um sich das Ganze mal aus der Nähe angucken zu können, stand fest, wo Ravna das letzten Sommer verdiente Geld am besten sinnlos anlegen könnte - und nun sind zwei der drei Wochen auch schon wieder vorbei. 

Und bisher war es einfach nur wunderbar. Der Sprachkurs ist vielleicht nicht der beste der Welt - es ist alles sehr nordeuropäisch: "Ach, das ist vielleicht ein kleines bisschen kompliziert - naja, dann kommt es halt auch nicht in der Prüfung dran." und es gibt beinahe mehr Kaffepausen als unregelmäßige Verben, aber Färöisch ist eine äußerst faszinierende Sprache. Und ich wusste nicht, dass das mit den Fällen so kompliziert sein kann! Jetzt verstehe ich langsam, warum Deutsch von außen kompliziert aussieht. Und wir haben plötzlich wieder jeden Tag Unterricht, und Hausaufgaben! Und ich hab sie sogar schon wieder vergessen!
Unter den Teilnehmern ist vom 16-Jährigen mit färöischer Großmutter über die harfespielende amerikanische Glasbläserin und eine beeindruckende Zahl deutsche Skandinavistikstudenten bis zum 60-Jährigen pfeiferauchenden Rentner alles vertreten. Ich wohne mit zwei anderen bei einer netten älteren Dame, jeder hat ein Zimmer, wir können die Küche mitbenutzen und alles fühlt sich beinahe an wie die ersten Wochen des Austauschjahres - wo ist das Sieb, darf ich wirklich einfach an den Kühlschrank gehen, wann kann ich am besten duschen gehen ohne jemand anderen zu stören und ja doch, ich verstehe schon einiges, aber ich traue mich wirklich nicht, auf Färöisch zu antworten.

An den Wochenenden haben wir frei, gestern gab es auch eine von der Uni geplante Exkursion nach Vágar und ansonsten findet sich immer jemand, mit dem man irgendwohin fahren kann - mit der Fähre nach Suðuroy, mit dem Bus nach Vestmanna oder zu Fuß nach Kirkjubøur. Überall Steine, Gras, Schafe, Wolken und Meer, aber überall ist es einfach nur wunderschön.

29 einander völlig unbekannte Leute mit unterschiedlichster Herkunft für drei Wochen auf einer Inselgruppe mit nicht ganz 50.000 Einwohnern zusammenzustecken, ist natürlich auch an sich schon eine faszinierende Erfahrung. Viele sind weiblich, die meisten sind zwischen 20 und 30, einige sind aus Deutschland und ich bin die einzige Deutsche, die nicht Skandinavistik studiert. Die allermeisten sind äußerst lieb, und mit einigen wenigen habe ich auch nach zwei Wochen noch kein Wort gewechselt und andere würde ich gerne auch nach den drei Wochen ab und an einmal wiedersehen. Einige aber auch lieber nicht. Es ist tatsächlich wie in der Schule. Es gibt nicht nur wieder Hausaufgaben und spannende Stunden und sich-dahinziehende-schon-wieder-nur-fünf-Minuten-seit-dem-letzten-Mal-an-die-Uhr-gucken Stunden, sondern es scheint auch all die Leute zu geben, die offensichtlich in allen Schulklassen der Welt in irgendeiner Form vertreten sind. Einen, der anstatt einer Frage immer noch ungefragt die drei folgenden beantwortet. Drei oder vier, die immer und überall zu hören sind. Andere, deren Anwesenheit man nicht einmal bemerken würde, wären sie nicht körperlich anwesend. Eine Person, die immer alles weiß. Und zwar besser. 

Aber wie auch immer, das Land in dem die Pommes Kips heißen, die Busse in der Hauptstadt kostenlos sind und das die höchste Anzahl publizierte Bücher pro Nase aufweist, ist ein schönes Fleckchen und ich hoffe doch, dass ich auf der nächsten Bootsfahrt auch wieder eine SD-Karte in meine Kamera stecke.















lørdag 2. august 2014

No cookies in London

Nach genau 38 deutschen, 40 englischen und einer norwegischen Führung ist die Guiding-Saison für mich auch schon wieder fast vorbei. Das letzte Wochenende im August liegt noch in weiter Ferne und morgen werde ich wieder einmal ein Flugzeug besteigen (wozu bin ich eigentlich Teilzeitvegetarier, bei dem Treibstoffverbrauch?) und für drei Wochen auf die Färöer Inseln verschwinden. Mein Koffer ist schon fast gepackt, und wie immer ist er viel zu groß. Einer der vielen Komplexe, mit denen man sich auseinandersetzen muss, wenn man Ravna ist, besteht darin, dass das Gepäck immer möglichst klein sein muss. Mein Unterbewusstsein meint offensichtlich, ein großer Koffer wäre meinem alternativen Ökoimage abträglich, das unter anderem einen Kleiderschrank am unteren Rande des Durchschnitts verlangt. Aber bei drei Wochen, Handtücher und Bettwäsche exklusive, gibt es einfach nicht so viel Spielraum für Koffergrößenkomplexe.
"Why is the Rosenkrantz tower not in Denmark?"
Wenig Raum für Komplexe hat man auch als Fremdenführer, und eigentlich frage ich mich auch immer noch, wie ich 79 Führungen überlebt habe, wo ich doch sonst monatelange Anlaufzeiten brauche, um auch nur einen Termin bei der Studienberaterin zu vereinbaren. Aber auch wenn ich letzte Woche einer Gruppe Schweden erzählt habe, der norwegische König habe im Mittelalter in Schweden gelebt und trotz meiner äußerst kreativen Umschreibung des Wortes „pork“ mit „Uhm, you know … oink, oink?“, sind es dann doch meistens die Touris, die für Heiterkeit sorgen. Der erste Preis  für die Schönste Frage der Saison geht dieses Jahr zu gleichen Teilen an den Engländer mit der giftgrünen Regenjacke, der wissen wollte: "Did the Scots ever try to steal cod from the Norwegians?" und die nette junge Dame mit dem sächsischen Akzent, die verwundert fragte, ob nicht der Transport des Stockfischs von Nordnorwegen bis Bergen viel zu lange dauerte, schließlich mussten die Leute damals doch die ganze Strecke laufen. 
"Do you sometimes feel like a shepherd?"
Manchmal können sie auch gar nichts dafür, dass der Tourguide die ganzen 90 Minuten in sich hineinlacht. Aber es hat schon etwas, wenn Olivia Colman einem in schönstem Fränkisch von ihrem Weinberg erzählt, und dass der Verfasser der aufgrund von Trunkenheit unlesbaren Runeninschrift sicher auch ihr Mann gewesen sein könnte - oder nein, eigentlich war es wohl doch Lischen Müller.

Und dann sind da noch die Leute, die man außerhalb der eigentlichen Führungen trifft. Wie die ältere Dame im grünen Tweedkostüm, die mit einem neugekauften Glas Multebeerenmarmelade in den Museumsladen kam, und uns darum bat, ebenjenes Glas kurz auf den Thresen stellen zu dürfen. Es war gerade nicht viel los in der Rezeption und so kamen wir mit ihr ins Gespräch, das sich bald um die traditionelle Verwendung von Multebeerenmarmelade in Norwegen drehte. Meine beiden Kolleginnen waren auch echte Norwegerinnen, und konnten davon berichten, dass gerade zu Weihnachten Multebeerenmarmelade gerne zusammen mit Sahne in Krumkake gefüllt und gegessen wird. Da sie im Gegensatz zu mir keine intelligenten Links zu Online-Lexika einstellen konnten, landeten wir bald bei der zugegeben etwas holprigen Umschreibung „a kind of cookie“. Unsere Kundin lauschte interessiert, erzählte selbst, wie sie die Marmelade gerne auf Brot oder zum Backen verwende, bat dann noch um ein Stück Papier, um das neuerworbene Glas sicher einwickeln zu können, und machte sich dann auf den Weg Richtung Ausgang. Auf halben Weg drehte sie sich allerdings noch einmal um und kehrte zu uns zurück: „I’m from London, and we don’t say „cookie“ – it’s „biscuit“!“ Sprachs und ging ihrer Wege.
"Why is the door not bigger?"
Ein paar Tage später stand ich vor einer Gruppe von fünf US-Bürgern, die mich anguckten wie ein Auto, als ich ihnen etwas von einem „car park“ erzählte, weil sie das wohl nur unter dem Begriff „parking lot“ kannten, aber angesichts der Tatsache, dass wir direkt vor dem Parkplatz standen und ich ausladent in dessen Richtung fuchtelte, hätten sie vielleicht auch einfach mal ein paar graue Zellen anstrengen können.
Und dann gab es da noch die Dame, die sich plötzlich vor mir aufbaute, als ich von einer Führung kam und auf dem Weg zurück ins Museum war – und sie hatte so einiges, das sie vor mir aufbauen konnte! Hände in die Hüften und dann bellte sie mich an: „WO IST HIER EIN BRIEFKASTEN?“. Ich hatte zwar vorher keinerlei Indikationen gegeben, dass ich in irgendeiner Weise der deutschen Sprache fähig war, aber angesichts der Schnelle des Angriffs hätte ich dazu auch gar keine Zeit gehabt. Ich fügte mich also der Rolle des Kaninchens vor der Schlange. „Ähm, gleich da vorne in der, in der Nebenstraße, dort wo Sie auch das, äh, das rote Holzhaus sehen können, mit dem, dem, Sie sehen schon, Weihnachtsladen?“ Ihrem Gesichtsausdruck nach hätte sie mich wohl gefressen, hätte ich mich nicht rechtzeitig weggeduckt.

Deutsche tragen Gore-tex, egal, wie das Wetter ist.

Amerikaner haben ein zwanghaftes Interesse an Dachziegeln.

Briten sind leicht glücklich zu machen – man muss nur einen Witz über Deutsche erzählen. 

Norweger stellen niemals Fragen. 

Ravna liebt ihren Job. Wirklich. Und jetzt hat sie erstmal Ferien.