søndag 29. desember 2013

Tagespläne

Was tut man in der Weihnachtszeit, wenn es nicht schneit, stattdessen regnet, weit und breit?

Weihnachten ist zwar schon mehr oder weniger vergangen, aber ich habe immer noch einen halben Baumkuchen und einen ganzen kleinen Stollen im Schrank und die Kerzen im Adventskranz sind auch noch nicht ganz heruntergebrannt.

In dieser Nachweihnachtszeit also, wenn es nicht schneit, sondern regnet, weil ein geschichtenfanatischer Bücherwurm mit einem Spleen für Geschichte und Sciene Fiction und komischen Klamotten die grandiose Idee hatte, in die regenreichste Stadt Europas zu ziehen, lädt sich ebendieser Bücherwurm eine Freundin ein. Diese wird im Studentenwohnheimzimmer im beinahe leeren Studentenwohnheim einquartiert. Zwischen Koffern, Matratzen und eigenen Möbeln muss der Bücherwurm dann auch weniger putzen.
Draußen beginnen die Tage um 9:45, wenn die Sonne aufgeht, im Studentenwohnheimzimmer beginnen sie, sobald  sich der erste unter der Decke hervor an die Heizung traut, um ebendiese einzuschalten. Manchmal auch erst nach dem zweiten oder dritten Anlauf.


Der äußerst detaillierte und strenge Tagesplan sieht danach ein Frühstück vor, dann gemeinsame Aktivitäten bis ungefähr 15:00 Uhr, Heimkehr ins Studentenwohnheimzimmer und gemeinschaftliche Produktion einer Mahlzeit, danach Blogeinträgewettschreiben, wahlweise auch andere computer- oder lesebasierte Aktivitäten, eventuell Ansehen von zu komplizierten englischen Filmen mit für die Freundin unverständlichen Untertiteln oder gemeinsames Hinaus-in-den-Regen-Starren.

Zur Abwechslung dienen diverse Unterbrechungen der Tagesroutine, darunter ein Tanz-nach-Weihnachten-Abend des Tanzvereins, sowie das nächtliche Auftauchen des Bruders der Studentenwohnheimzimmernachbarin, der sich gegen 2:00 Uhr in der Küche plötzlich mit einem verschlafenen Bücherwurm, ohne Brille und in Gedanken noch in einem Traum über fliegende Untertassen, konfrontiert sah. Aber er zahlt 10 Kronen für beinah-gestohlene Klementinen und hinterlässt die Küche sauber, also darf er bleiben.

Das Leben ist blaue Pfefferkuchenpolizeiboxen mit gebackenem Lachs und Rote-Bete-Salat.


Gemeinsame Aktivität I: Beusch der Pfefferkuchenstadt


Pfefferkuchenpolizeibox. In blau!
Gemeinsame Aktivität II: Fahrt auf den Fløyen mit darauf folgendem Abstieg




onsdag 25. desember 2013

Alle Jahre wieder


“It’s a funny thing coming home. Nothing changes. Everything looks the same, feels the same, even smells the same. You realize what’s changed, is you.”

Ich kann mich nur noch sehr ungenau an den Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ erinnern, und ich bin mir noch nicht einmal so sicher, ob ich ihn überhaupt komplett gesehen hab, oder nur in Ausschnitten. Die zugehörige Kurzgeschichte kenne ich auch nicht. Ich weiß auch gar nicht, in welchem Zusammenhang obengenannter Satz fällt.  Deswegen habe ich ihn einfach mal elegant aus dem Zusammenhang gerissen – im letzten Semester haben wir immerhin gelernt, wie man sinnvoll und korrekt zitiert – um ihn für meine eigenen Zwecke zu gebrauchen.
Ich war die letzten zehn Tage zu Hause. Nicht zu Hause in Bergen, nicht zu Hause in Os, sondern zu Hause in Berlin, bei meinen Eltern. Es war genau sechs Monate her, dass ich am Tag nach dem Abiball ins Flugzeug gestiegen war, um den Sommer zwischen buntbetatzten Kreuzfahrttouristen und bereits vor 900 Jahren abgebrannten Holzhäusern zu verbringen. Und danach die ein oder andere Philosophievorlesung im Ansichtsverzeichnis zu verbringen. Aber nach sechs Monaten Wieso-sprechen-Sie-so-gut-deutsch und Cogito-ergo-sum und Präzisieren-einer-Aussage und Erstelle-ein-Argumentationsdiagram war es höchste Zeit, mal wieder zu richtigem Brot und Großstadt nach Berlin zu fahren.
Es hat sich nicht viel verändert. Der Flughafen in Tegel, der Weg nach Hause, die Straße, das Haus meiner Eltern. Mamas Auto heult immer noch schrecklich beim Schalten und die Matratze in meinem Bett hat immer noch an genau der gleichen Stelle eine Kuhle.
Everything looks the same, feels the same, even smells the same
Die Frau beim Bio-Bäcker in der Bio-Supermarkt-Kette wünscht mir um kurz nach vier einen schönen Nachmittag, „wobei, es wird ja jetzt immer so früh dunkel, es sieht eher aus wie ein schöner Abend.“ Nun, ich hatte mir gerade gedacht, wie schön, dass es hier ein bisschen länger hell ist.
Kurz danach stehe ich im Schreibwarenladen, um Tintenpatronen zu kaufen und krame verzweifelt in meinem Portmonee. Wie sehen nochmal die 50-Cent-Münzen aus? Sind die blauen Scheine die Zwanziger?
An der Supermarktkasse suche ich verwundert nach dem Kartenlesegerät, als mir die Verkäuferin meine EC-Karte aus der Hand reißt und sie in das für mich unerreichbare Teil schiebt.
Auf dem Rückweg steht eine riesige Menschentraube an der Bushaltestelle. Nun, ich habe ja einen Fahrschein, da kann ich ja hinten einsteigen. Als der Bus kommt, öffnet der Fahrer die eine Hälfte der vorderen Doppeltür und alle Wartenden versuchen, möglichst als erste einzusteigen, um dann noch stundenlang nach Kleingeld zu kramen, wenn sie ihre Fahrkarten beim Fahrer kaufen.
Als ich dann bei meinen Eltern in unserer angenehm vertraut nach Holz, Tee und Bioladen riechenden Küche sitze und von der Uni erzähle, stolpere ich über Worte wie „Vorleser“ und „Seminaraufgabe“, nichtsahnend, dass diese Dinge auf Deutsch „Dozent“ und „Hausarbeit“ heißen und am nächsten Morgen erklärt mir die Dame, die mir die Zöpfe wieder ab und die Haare damit kurzschneiden soll, dass sie einen Akzent zu meinen hört.

Im Kino spricht Bilbo Beutlin Deutsch und mein Vorhaben, meinen Eltern meine neueste Fernsehseriensucht näher zu bringen droht daran zu scheitern, dass die Synchronisation den Doktor und Donna Noble in ein paar lachhaft hysterische Teenager zu verwandeln scheint.
Wir gehen ins Theater zu einem Stück von Brecht und vorher in die Kantine, an Heilig Abend spielt Papa erst den Weihnachtsmann bei einem Kollegen und dann gibt es Würstchen mit Kartoffelsalat. Auf der Couch sitzen die Großeltern und unterm Weihnachtsbaum die Geschenke, ich habe wie immer vergessen, die Preisschilder abzumachen. Meine Eltern schenken meinen Großeltern nichts und meine Großeltern schenken meinen Eltern nichts, so ist es seit Jahren abgemacht und seit ebenso vielen Jahren halten sich meine Großeltern nicht daran und wie jedes Jahr legt sich zwischen Tannennadel- und Plätzchenduft ein Hauch von Familienstreit – oh, du schöne Weihnachtszeit!
Nothing changes.
Und als alles schon fast wieder vorbei ist, fragt meine Großmutter mich, ob ich schon aufgeregt sei. Ich verstehe nicht. Die Bescherung vorbei, warum denn jetzt noch aufgeregt sein? Morgen führe ich ja wieder nach Norwegen. 

You realize what’s changed, is you. Morgen fahre ich ja wieder nach Hause.

 
You realize what’s changed, is you. Morgen fahre ich ja wieder nach Hause.

torsdag 31. oktober 2013

Neulich in der Waschküche

Ich wohne im Studentenwohnheim, und das ist eigentlich ziemlich in Ordnung. Es ist nicht weit bis zur Uni, am Ende des Geldes bleibt weniger Monat übrig und auch wenn mir der Musikgeschmack meiner Obermieter nicht zusagt, machen sie  sich jeden Freitag und Samstag pünktlich um 00:30 auf den Weg zum Weiterfeiern ins Zentrum, so dass die arbeitende  im-Museum-einstaubende Bevölkerung sich für einen weiteren Tag zwischen mittelalterlichen Holzhausüberresten und Keramik mit Gruselgesichtern ausschlafen kann. 

Wie man ein strebsamer, hart arbeitender Student wird, habe ich noch immer nicht herausgefunden, aber dank meine nichtvorhandene Feierlaune und eine recht gute Note in Akademisches Schreiben habe ich diesen Ruf sozusagen als Aboprämie mit dazubekommen. Das geht nun schon bald 14 Jahre so!  

Philosophie arbeitet weiterhin daran, mein absolutes Lieblingsfach zu werden. Der Dozent kommt, sympathisch tropfend, in knalloranger Regenjacke und grünen Gummistiefel in die Vorlesung, erklärt uns dann, dass die Definition "Lebendes Wesen mit zwei Beinen" für den Begriff "Mensch" nicht ausreichend ist, weil sie Schafe und Beinamputierte exkludiert, aber Sträuße Strauße inkludiert. Man lernt fürs Leben an der Universität, und am Ende des Tages stellt der Seminarleiter noch seine Zeichenkünste unter Beweis und demonstriert, wie man die Bezeichnung einer Formulierung
F1 theoretisch auch durch eine Ratte ersetzen könnte, wenn das nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

Der Herbst zeigt sich weiter von seiner schönsten Seite und für glückliche Besitzer einer Regenhose ist der Aufstieg zur Bibliothek für Humaniora und Gesellschaftswissenschaften kein Problem . Nur früh aufstehen muss man, ansonsten sind die guten Plätze im Foyer um seinen Regenschirm zum Trocknen aufzustellen, schon weg.

Im Waschmaschi(e)nenraum des Wohnheims, verkehrsgünstig gleich neben dem Luftschutzraum gelegen, gibt es derweil Faszinierendes zu entdecken. Ich durfte ja bei meinem Papa auch nie bügeln, aber dem/der Besitzer/in des Häufleins aus Handtüchern, weißen Hemden, einer Regenjacke und einem Wollpullover in verdächtig figurschmeichelnder Größe scheint auch das Geheimnis des Wäschetrennes vorenthalten worden zu sein. In der Ecke liegt ein Schokomilchkarton (oder sogar ein Karton Schokomilch?) zwischen Baumwollsocken einer bekannten schwedischen Modekette und irgendjemand hat mir schonmal eine Portion Waschpulver für die von mir reservierte Waschmaschine spendiert. Meinem Gehirn scheint mein erhöter Schokoladenkonsum auch nicht gut zu tun, denn es spendiert mir eine Extrarunde zurück in den dritten Stock, wo meine Waschmaschinenaktivierungskarte sehnsüchtig auf ihren Einsatz wartet. Und wie hängt man eigentlich Bettbezüge auf viel zu kleine Wäscheständer?

Alles in Allem: Das Leben ist gratinierte Tortellini mit Tomatensahnesoße. Und Platon hätte meinetwegen gerne Politiker werden können. 


Nachtrag: Gewitter zu Halloween. So muss es sein!


torsdag 24. oktober 2013

tirsdag 22. oktober 2013

Alles Käse, oder was?

Sah es für kurze Zeit einmal so aus, als ob aus mir ein vielbloggender Mensch werden könnte, scheinen wir momentan wieder auf den Durchschnitt von vor drei Jahren zurückzufallen – rund ein Eintrag im Monat. Vor fünfundzwanzig Jahren konnte man seine Zeit noch nicht mit zu häufigem Emailsabrufen und sinnlosem Onlineartikellesen und ähnlichem Käse verbringen (seht ihr, ich verbringe nicht zu viel Zeit bei facebook), aber irgendwie bezweifle ich auch, dass damalige Studenten sich viel sinnvoller zu beschäftigen wussten, geschweige denn,  dass sie fleißiger waren als ich. Zumindest nicht die damaligen Studenten, die sich heute durch ein enges verwandtschaftliches Verhältnis zur Autorin dieses Blogs auszeichnen. Was um Himmels Willen haben die denn damals gemacht?
Zumindest dieses Wochenende habe ich die Zeit mit äußerst sinnvollen Tätigkeiten wie Grillwürstchengrillen, Käsebroteüberbacken, Schokoladeessen, Kartenspielen und Hollywoodunsinngucken verbracht  – und das Ganze macht sich sogar gut auf meinem Lebenslauf. Ich war auf dem Herbstseminar von YFU hier in der Region und habe mir angehört, wie niedlich sich all die momentanen Austauschschüler anhören, wenn sie versuchen, Norwegisch zu sprechen und dabei die Worte für Käse (ost) und Osten (øst) verwechseln. Und habe dabei versucht, möglichst wenig daran zu denken, wie niedlich ich mich wohl vor drei Jahren angehört habe. Wie auf eigentlich jeder YFU-Veranstaltung ging es hauptsächlich um Reden und Essen und es war ein wundervolles Wochenende.
Hauptberuflich geht mein Leben momentan nur bis Donnerstag, 14:00 Uhr. Da muss ich nämlich ein Essay in Philosophie abgeben. Bisher hat es 900 Wörter, die ich vor zwei Wochen mal an einem Tag zusammengeklöppelt habe und alles was mein Seminarleiter zum abgegebenen Entwurf zu sagen hatte, war „Wir können jetzt eine Stunde lang quatschen, zu deinem Text gibt es nicht viel zu sagen“  und „Mmmh, bis 1500 Wörter hast du ja noch ein bisschen Platz – schreib doch noch was über Kulturrelativismus“.  Aber immerhin weiß ich jetzt, dass er 14 verschiedene Anzüge besitzt, in Deutschland als Austauschstudent mal aus Versehen auf dem Treffen einer rechtsradikalen Burschenschaft war und seine erste Exfreundin jetzt sein bester Freund ist. Vielleicht muss man ja für einen Magister in Philosophie ein bisschen exzentrisch sein,  nur leider hilft mir das in Bezug auf Vorurteile, Verstehen und den hermeneutischen Zirkel kein bisschen weiter. Gadamer mag ja ein leckerer Käse brillanter Philosoph gewesen sein, und irgendwie ist es ja auch interessant, aber es ist furchtbar frustrierend, nicht weiterzukommen.
Viel besser sind da die momentanen Philosophievorlesungen, in denen Erna Solberg auf der Parlamentsweihnachtsfeier plötzlich heiß auf Jens Stoltenberg wird, der ihr im Übrigen zum Verwechseln ähnlich sieht. Oder vielleicht ist alles auch nur ein großes, semantisches Missverständnis.
Seit heute Nacht hat hier auch der Regenschauer begonnen – Bergen zeigt sich endlich einmal wieder von seiner schönsten Seite, nachdem ich vor ein paar Tagen noch ein paar schöne Herbstfotos mit buntem Himmel und blauen Blättern machen konnte. Mein Lieblings-I-love-YFU-Regenschirm hat nun auch endlich  einen Knacks weg und ich hoffe, ich komme heute noch halbwegs trocken nach Hause. 

Alles in Allem: Das Leben ist schön!

tirsdag 10. september 2013

Blaues Ergebnis, grüne Ergänzung


Es krauchen Nebelschwaden und graue Wolken die Berge hinauf, und mein Regenschirm steht zum Trocknen vor der Balkongtür. Bald wird er wieder nass. Aber auch ein blaues Loch ist in der Wolkendecke zu sehen.

Grau ist auch die Stimmung, und blau das Wahlergebnis. Nur ob sich dadurch der Himmel über Norwegen aufhellen wird, ist fraglich.

Gestern hat Norwegen gewählt. Genaugenommen wählten sie schon eine ganze Weile vorher, denn im Gegensatz zu Deutschland, wo die einzige Möglichkeit, vor dem eigentlichen Wahlergebnis seine Stimme abzugeben, in der Briefwahl liegt, gibt es hier kleine Wahllokale (in Bibliotheken, Gemeindeämtern und im großen, blau-gelben Möbelhaus) in denen man schon einige Wochen vor der Wahl abstimmen kann.

Das Ergebnis kann sich gerne hinterm nächsten Müllcontainer verstecken. Die Arbeiterpartei (sozialdemokratisch, ca. SPD), der Staatsminister Jens Stoltenberg angehört, ist zwar stärkste Partei mit 30%. Allerdings hat sie zusammen mit ihren bisherigen Koalitionspartnern Zentrumspartei (Wikipedia sagt "agraisch-ökologisch", die ehemalige Bauernpartei) und SV (Sozialistische Linkspartei) 14 Sitze verloren, womit die Rotgrünen keine Regierungsmehrheit mehr haben.

Der große Gewinner ist Høyre ("Rechts", die Konservativen, so wie CDU, nur ohne C), die 18 Sitze dazugewonnen haben. Zusammen mit allen Parteien des "bürgerlichen" Blocks haben sie 96 Sitze, was gegenüber 72 Sitzen für die Rotgrünen eine recht eindeutige Mehrheit ist.

Nun bin ich ja langsam der Meinung, dass es (leider) in vielen Bereichen kaum einen Unterschied macht, ob nun Bürgerliche oder Rotgrüne die Regierung stellen, ob nun in Deutschland oder in Norwegen. 
Interessant sind allerdings die Koalitionspartner für Høyre. Da sind auf der einen Seite die beiden kleinen Parteien Venstre (liberal, aber auch ein bisschen Umweltpartei) und Christliche Volkspartei (christlicher als die CDU). Rein vom Parteiprogramm her könnte ich mich mit Venstre fast anfreunden, nur bin ich wohl zumindest was Wirtschaft angeht, nicht liberal genug. Die Christliche Volkpartei ist sehr traditionell-familienbezogen und will ein strengeres Abtreibungsgesetz, das ist dann doch nicht so ganz das richtige. 
Auf der anderen Seite ist da die Frp. Die nennen sich zwar "Fortschrittspartei", aber in diese Richtung möchte ich sicher nicht fortschreiten. Rechtspopulistisch, einwandererfeindlich  und eine Menge merkwürdige Gestalten in den Reihen. Bei der letzten Wahl hatten sie noch 22%, 16 sind übriggeblieben, dass ist ja immerhin ein Rückgang. Trotzdem werden sie nun vielleicht zum ersten Mal mitregieren und ich bekomme Bauchschmerzen davon. Straßenausbau mit Ölfondgeldern, Steuersenkungen und die Tatsache, dass ich offensichtlich eine ernsthafte Gefahr für die norwegische Gesellschaft darstelle, sind nicht unbedingt die wunderbarsten Aussichten. Es war lange Zeit zu verpönt, eine Koalition mit der Frp einzugehen, aber ohne sie haben die anderen drei Parteien nicht genug Sitze und Regieren ist natürlich ganz nett ... . Wie sie allerdings zusammenarbeiten wollen, ist mir schleierhaft.

Eine kleine Freudennachricht gibt es aber auch noch: Die Grünen haben ein Mandat! Nachdem sie als Kleinpartei schon eine ganze Weile existieren und seit 2011 auch in ein paar Kommunalparlamenten sitzen, ist gestern ein Kandidat aus Oslo ins Storting gewählt worden. 
Ich bin zwar nach wie vor neutral, war aber gestern auf der Wahlparty der Grünen, und da war die Stimmung auch entsprechend gut. Die Grünen hier weigern sich, sich einem der beiden Blöcke zuordnen zu lassen, da sie einen völlig anderen Ansatz vertreten. Unter anderem soll wirtschaftlicher Erfolg weniger an Wachstum und dafür mehr an okölogischer Verträglichkeit gemessen werden und sie wollen die Ölindustrie so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umlegen, denn auch wenn Norwegen die eigene Energie aus Wasserkraft bezieht, verdienen sie das meiste Geld durch CO2-Produktion.
Ich bin nach wie vor skeptisch, denn die Grünen in Deutschland sind auch nicht mehr so grün wie damals, als sie noch klein waren. Aber mit einem Mandat im Parlament und einem Ergebnis von 2,8%, dass ihnen mehr Parteifinanzierung zusichert, haben sie einen guten Ausgangspunkt, um zu beweisen, dass es ihnen ernst ist. Und als Ergänzung der Parteienlandschaft, in der Umweltpolitik bisher höchstes eine hübsch anzusehende Nebensächlichkeit war, sind sie allemal gut.

Am Ende noch etwas anderes Grünes: Am Samstag war ich, zusammen mit einer litauischen Studentin, für die ich die "norwegische" Kontaktperson bin, "på tur". Wir waren in Os und haben uns das Lysekloster, bzw. dessen Überreste angesehen und sind danach auf den dahintergelegenen Berg, Lyshornet, gestiegen. Und wenn man die Belichtungs- und Isozahleneinstellungen beherscht (âhem), kann man da ganz tolle Fotos machen.



mandag 2. september 2013

Weiße Schwäne und Pasta mit Huhn

Es ist Montag, und trotz des äußerst humane Vorlesungszeitpunkts von 12:15 bis 14:00 fühle ich mich auf dem Weg zur Uni so verschlafen wie vor einem halben Jahr, als ich jeden Morgen um 07:55 am Bahnhof stand und darauf wartete, dass die Berliner S-Bahn mal wieder Verspätung hatte. Nach einem Wochenende in Os bei meiner Gastfamilie war ich nur zur einer morgendlichen Stippvisite im Wohnheim, um meine frisch gewaschenen (selbst!gewaschenen) Klamotten aufs Bett zu schmeißen und die fürs Wochenende im Regal geparkten Philosophieunterlagen einzupacken.
Die Bergenser Variante der S-Bahn, die entfernt an eine Straßenbahn erinnert, die versehentlich nach Regionalzugstandarts gebaut wurde, kommt pünktlich. Allerdings scheint ganz Bergen Montagmittag auf dem Weg Richtung Zentrum zu sein und ich ergattere nur mit Mühe einen Stehplatz, eingeklemmt zwischen einem Typen in knallblauer Regenjacke und mit übergroßem Rucksack (Mensch, diese Touris!) und einer jungen Frau mit pinkem Kopftuch und einem langen, schwarzen Rock. So einen suche ich schon eine Weile, aber es geht gegen die norwegischen Gesellschaftsregeln für das Verhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln, danach zu fragen, wo sie ihn gekauft hat. Ganz abgesehen davon, dass ich mich das nicht mal trauen würde, lebte ich in der schwatzhaftesten Gesellschaft der Welt.
An der Endstation quillt die Masse aus dem Zug, der Typ mit dem Monsterrucksack trampelt zweimal auf die Träger meines Rucksacks, den ich in der Hand trage. Ich ärgere mich nicht, dafür bin ich viel zu müde. Der Aufstieg zum Studentencenter, in dessen Auditorium mit dem wunderschönen Spitznamen „Das Ei“ die Vorlesung stattfindet, wirft die Frage auf, warum ich eigentlich unbedingt aus der flachen Großstadt hierher gezogen bin. Die Aussicht auf die nebelverhangenen Berge und  der andauernde Nieselregen machen die Suche nach einer positiven Antwort nicht leichter.
Im Studentencenter versuchen 150 Studenten der Humanistischen Fakultät, sich möglichst gleichzeitig oder doch zumindest in Fünferreihen durch die Tür zum Auditorium zu pressen, und das während noch die Teilnehmer der vorhergehenden Vorlesung versuchen, den Raum durch dieselbe Tür zu verlassen. Über Sinn und Unsinn dieses Versuchs lässt sich sicher eine philosophische Abhandlung schreiben, denn Sitzplatzmangel gibt es an diesem Tag nicht.
In den nächsten 50 Minuten versuche ich angestrengt, den Ausführungen über die Frage „Was ist Wissenschaft?“ zu folgen, die von einem Mann mit finnischem Namen und finno-schwedischem Akzent auf Norwegisch vorgetragen werden. Es bleibt etwas hängen über normative Wissenschaftsphilosophie  und dass es darum geht, wie Wissenschaft sein sollte, die Antwort auf diese Frage bleibt mir aber verborgen.
Vor mir steht Sib Friele, ein Kaffeebecher in müllabfuhrorange, den ich in der Pause mit Kaffee zu – dank Sib Friele – zehn Kronen füllen will. Die Kaffeemaschine meint es heute etwas zu gut, anstatt zu ca. drei Vierteln mit viel Platz für Milch, ist der Becher heute so gut gefüllt, dass ich nicht einmal den Deckel draufschrauben kann. Auf dem Weg zurück ins Auditorium hinterlasse ich eine Kaffeespur.
Die zweite Stunde vergeht mit der Frage, ob man die Aussage „Alle Schwäne sind weiß“ beweisen kann, indem man sämtliche Schwäne der Welt anguckt, und was es dann für die Hypotese bedeutet, wenn australische Schwäne schwarz sind. Außerdem ist Psychoanalyse eine Pseudowissenschaft (Ha!) mit eindeutigen Parallelen zum Marxismus, nur Einstein bekommt am Ende Recht.
In der Mensa gibt es W-Lan und Pasta mit Huhn, und während ich mich in der Begeisterung über den vortrefflich gelungenen ersten Satz dieses Blogeintrages sonne, steht plötzlich ein Typ mit Locken und Streifenpulli vor mir und fragt mich, wie es läuft. Sprachliche Irrungen zwischen deutschen Gedanken und norwegischem Gehörtem und anfängliche Schwierigkeiten, das Gesicht einer bekannten Person zuordnen zu können, enden ganz offensichtlich in einem vielsagenden Gesichtsausdruck, denn Julius von den Grünen Studenten entschuldigt sich für die Störung, ich sei offensichtlich gerade sehr ins Arbeiten vertieft, und entschwindet, bevor das Sprachgewirr in meinem Hirn sich aufgelöst hat.