Ein Reisebericht in vier Akten
Episode 4 - Sonntag, 8. Juni 2014
Der Sonntag beginnt deutlich später als die vorhergehenden
Tage, aber schließlich sitzen wir auch an diesem Tag in der Hostelküche. Einen
Gang weiter klopft ein verzweifelter Gast an die verschlossene Zimmertür und
zum wunderbaren Geschrei von „Oooopen the fucking door! Ey! Open the door!“
gibt es auch an diesem Morgen Cornflakes, Milch und Tee.
Als ich mit Abwaschen fertig bin, und auf Kaline warte,
spricht mich plötzlich ein älterer Mann an. Ravna hat das letzte Jahr in
Norwegen verbracht und ist daher nicht mehr darauf eingestellt, dass völlig
fremde Leute sie direkt ansprechen – daher zieht sie gekonnt anderthalb
Augenbrauen hoch und stiert ihren Gesprächspartner mit einem Gesichtsausdruck
aus „Häh?“, „Kannst du das nochmal langsamer sagen“ und „‘tschuldigung, aber
die Wirkung des Koffeins hat noch nicht ganz eingesetzt“ an. Mein Gegenüber
wiederholt seine Frage, allerdings scheint er meinen Gesichtsausdruck nur zur
Hälfte richtig interpretiert zu haben – seine Frage kann sowohl „Are you on
holiday?“ oder „Do you enjoy your holiday?“ sein. Um nicht völlig wie ein
verschlafener, sozial inkompetenter Idiot dazustehen, bejahe ich seine Frage
ganz einfach, bevor mich Kaline aus dem Gespräch erlöst.
Es ist 11:00 Uhr, aber Sonntag, weshalb wir mit dem heutigen
Ausflug noch eine Stunde warten müssen. Diese verbringen wir mit einem
Spaziergang durch Cork. Wir laufen mehrere Sakralbauten an, aber die sind des
Wochentages wegen alle in Benutzung und wir wollen ja nicht stören. Ein paar
Minuten vor zwölf stehen Ravna und Kaline dann ungeduldig vorm Buchladen und
warten darauf, dass er öffnet. Beim Kauf von zwei Büchern bekommt man eins zum halben
Preis, die Auswahl ist riesig und man soll ein Buch niemals nach seinem
Umschlag beurteilen und so sind nach der Hälfte des Buchladens bereits zwei
Stunden vergangen. Ravna reist zwar mit Handgepäck, aber ihre Bibliothek wird
trotzdem um zwei weitere Bücher erweitert.
Nach dem Buchladenbesuch ist plötzlich zu wenig Zeit übrig
und nachdem wir unser Gepäck im Hostel abgeholt haben, drehen wir auf halbem
Weg zum Supermarkt wieder um, weil doch nur noch eine Viertelstunde übrig ist. Die
Leute an der Busstation fragen sich sicher, wer das verrückte Mädchen ist, das
aus dem Busfenster heraus Grimassen schneidet, während sich die Reisenden im
Flughafenbus wundern, wieso ihnen jemand eine lange Nase zieht – tatsächlich sind
es nur Ravna und Kaline, die sich voneinander verabschieden.
Am Flughafen in Cork gibt es ein Wrap mit Hühnchen und bei
der Sicherheitskontrolle muss ich plötzlich meine Kamera auspacken. Der Flug
nach Amsterdam hat 20 min Verspätung und auch, wenn ich mit dem Prinzip des
selbstbedienten Transferschalters nun vertraut bin, bin ich daher genauso
nervös wie auf dem Hinflug. An der schipohler Sicherheitskontrolle darf meine Kamera
in ihrer Tasche bleiben, dafür muss ich nun die Schuhe ausziehen. Meine Frisur
hat Kaline am Vortag noch als „löwenartig“ bezeichnet und tatsächlich ist
mit-nassen-Haaren-zu-Bett-gehen, Regen, Wind und Haarband nicht unbedingt eine
vorteilhafte Kombination, meine Socke hat zwei Löcher und mein Pulli einen
Hühnchenwrapfleck, aber alle nennen mich „Madame“ und ich fühle mich gleich
viel besser. Natürlich erreiche ich den Flug nach Bergen ohne Probleme. Meine
Sitznummer ist 4C und nach Durchqueren der Businessclass stehe ich äußerst
verwundert vor einen Sitz mit der Aufschrift „Economy Comfort“. Die beiden
Damen mit den großen Taxfree-Tüten hinter mir müssen nun einige Momente warten,
während ich verwundert von meiner Bordkarte zur Sitznummer und wieder zurück
starre. Ich habe keinen Sitzplatz mit extra viel Beinfreiheit bestellt! Das
kostet extra und bei anderthalb Stunden Flug und 162 cm ist das wirklich nicht
nötig! Aber die Sitznummer auf meiner Bordkarte ändert sich nicht und so sitze
ich in der erste Reihe und schaue durch einen Spalt im Vorhang dem Theater Business-Class
beim Abendbrot zu, während mir ein faszinierendes Keksgebilde aus Pfefferkuchen
und Karamell die Zähne verklebt.
In Bergen kommt der Flughafenbus rechzeitig, um halb zwölf
liegt Ravna im Bett und am nächsten Tag ist Pfingstmontag – und im
Küchenschrank gibt es Wasser und eine halbe Packung Haferflocken mit Rosinen.
Aber das ist eine andere Geschichte.