tirsdag 10. september 2013

Blaues Ergebnis, grüne Ergänzung


Es krauchen Nebelschwaden und graue Wolken die Berge hinauf, und mein Regenschirm steht zum Trocknen vor der Balkongtür. Bald wird er wieder nass. Aber auch ein blaues Loch ist in der Wolkendecke zu sehen.

Grau ist auch die Stimmung, und blau das Wahlergebnis. Nur ob sich dadurch der Himmel über Norwegen aufhellen wird, ist fraglich.

Gestern hat Norwegen gewählt. Genaugenommen wählten sie schon eine ganze Weile vorher, denn im Gegensatz zu Deutschland, wo die einzige Möglichkeit, vor dem eigentlichen Wahlergebnis seine Stimme abzugeben, in der Briefwahl liegt, gibt es hier kleine Wahllokale (in Bibliotheken, Gemeindeämtern und im großen, blau-gelben Möbelhaus) in denen man schon einige Wochen vor der Wahl abstimmen kann.

Das Ergebnis kann sich gerne hinterm nächsten Müllcontainer verstecken. Die Arbeiterpartei (sozialdemokratisch, ca. SPD), der Staatsminister Jens Stoltenberg angehört, ist zwar stärkste Partei mit 30%. Allerdings hat sie zusammen mit ihren bisherigen Koalitionspartnern Zentrumspartei (Wikipedia sagt "agraisch-ökologisch", die ehemalige Bauernpartei) und SV (Sozialistische Linkspartei) 14 Sitze verloren, womit die Rotgrünen keine Regierungsmehrheit mehr haben.

Der große Gewinner ist Høyre ("Rechts", die Konservativen, so wie CDU, nur ohne C), die 18 Sitze dazugewonnen haben. Zusammen mit allen Parteien des "bürgerlichen" Blocks haben sie 96 Sitze, was gegenüber 72 Sitzen für die Rotgrünen eine recht eindeutige Mehrheit ist.

Nun bin ich ja langsam der Meinung, dass es (leider) in vielen Bereichen kaum einen Unterschied macht, ob nun Bürgerliche oder Rotgrüne die Regierung stellen, ob nun in Deutschland oder in Norwegen. 
Interessant sind allerdings die Koalitionspartner für Høyre. Da sind auf der einen Seite die beiden kleinen Parteien Venstre (liberal, aber auch ein bisschen Umweltpartei) und Christliche Volkspartei (christlicher als die CDU). Rein vom Parteiprogramm her könnte ich mich mit Venstre fast anfreunden, nur bin ich wohl zumindest was Wirtschaft angeht, nicht liberal genug. Die Christliche Volkpartei ist sehr traditionell-familienbezogen und will ein strengeres Abtreibungsgesetz, das ist dann doch nicht so ganz das richtige. 
Auf der anderen Seite ist da die Frp. Die nennen sich zwar "Fortschrittspartei", aber in diese Richtung möchte ich sicher nicht fortschreiten. Rechtspopulistisch, einwandererfeindlich  und eine Menge merkwürdige Gestalten in den Reihen. Bei der letzten Wahl hatten sie noch 22%, 16 sind übriggeblieben, dass ist ja immerhin ein Rückgang. Trotzdem werden sie nun vielleicht zum ersten Mal mitregieren und ich bekomme Bauchschmerzen davon. Straßenausbau mit Ölfondgeldern, Steuersenkungen und die Tatsache, dass ich offensichtlich eine ernsthafte Gefahr für die norwegische Gesellschaft darstelle, sind nicht unbedingt die wunderbarsten Aussichten. Es war lange Zeit zu verpönt, eine Koalition mit der Frp einzugehen, aber ohne sie haben die anderen drei Parteien nicht genug Sitze und Regieren ist natürlich ganz nett ... . Wie sie allerdings zusammenarbeiten wollen, ist mir schleierhaft.

Eine kleine Freudennachricht gibt es aber auch noch: Die Grünen haben ein Mandat! Nachdem sie als Kleinpartei schon eine ganze Weile existieren und seit 2011 auch in ein paar Kommunalparlamenten sitzen, ist gestern ein Kandidat aus Oslo ins Storting gewählt worden. 
Ich bin zwar nach wie vor neutral, war aber gestern auf der Wahlparty der Grünen, und da war die Stimmung auch entsprechend gut. Die Grünen hier weigern sich, sich einem der beiden Blöcke zuordnen zu lassen, da sie einen völlig anderen Ansatz vertreten. Unter anderem soll wirtschaftlicher Erfolg weniger an Wachstum und dafür mehr an okölogischer Verträglichkeit gemessen werden und sie wollen die Ölindustrie so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umlegen, denn auch wenn Norwegen die eigene Energie aus Wasserkraft bezieht, verdienen sie das meiste Geld durch CO2-Produktion.
Ich bin nach wie vor skeptisch, denn die Grünen in Deutschland sind auch nicht mehr so grün wie damals, als sie noch klein waren. Aber mit einem Mandat im Parlament und einem Ergebnis von 2,8%, dass ihnen mehr Parteifinanzierung zusichert, haben sie einen guten Ausgangspunkt, um zu beweisen, dass es ihnen ernst ist. Und als Ergänzung der Parteienlandschaft, in der Umweltpolitik bisher höchstes eine hübsch anzusehende Nebensächlichkeit war, sind sie allemal gut.

Am Ende noch etwas anderes Grünes: Am Samstag war ich, zusammen mit einer litauischen Studentin, für die ich die "norwegische" Kontaktperson bin, "på tur". Wir waren in Os und haben uns das Lysekloster, bzw. dessen Überreste angesehen und sind danach auf den dahintergelegenen Berg, Lyshornet, gestiegen. Und wenn man die Belichtungs- und Isozahleneinstellungen beherscht (âhem), kann man da ganz tolle Fotos machen.



mandag 2. september 2013

Weiße Schwäne und Pasta mit Huhn

Es ist Montag, und trotz des äußerst humane Vorlesungszeitpunkts von 12:15 bis 14:00 fühle ich mich auf dem Weg zur Uni so verschlafen wie vor einem halben Jahr, als ich jeden Morgen um 07:55 am Bahnhof stand und darauf wartete, dass die Berliner S-Bahn mal wieder Verspätung hatte. Nach einem Wochenende in Os bei meiner Gastfamilie war ich nur zur einer morgendlichen Stippvisite im Wohnheim, um meine frisch gewaschenen (selbst!gewaschenen) Klamotten aufs Bett zu schmeißen und die fürs Wochenende im Regal geparkten Philosophieunterlagen einzupacken.
Die Bergenser Variante der S-Bahn, die entfernt an eine Straßenbahn erinnert, die versehentlich nach Regionalzugstandarts gebaut wurde, kommt pünktlich. Allerdings scheint ganz Bergen Montagmittag auf dem Weg Richtung Zentrum zu sein und ich ergattere nur mit Mühe einen Stehplatz, eingeklemmt zwischen einem Typen in knallblauer Regenjacke und mit übergroßem Rucksack (Mensch, diese Touris!) und einer jungen Frau mit pinkem Kopftuch und einem langen, schwarzen Rock. So einen suche ich schon eine Weile, aber es geht gegen die norwegischen Gesellschaftsregeln für das Verhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln, danach zu fragen, wo sie ihn gekauft hat. Ganz abgesehen davon, dass ich mich das nicht mal trauen würde, lebte ich in der schwatzhaftesten Gesellschaft der Welt.
An der Endstation quillt die Masse aus dem Zug, der Typ mit dem Monsterrucksack trampelt zweimal auf die Träger meines Rucksacks, den ich in der Hand trage. Ich ärgere mich nicht, dafür bin ich viel zu müde. Der Aufstieg zum Studentencenter, in dessen Auditorium mit dem wunderschönen Spitznamen „Das Ei“ die Vorlesung stattfindet, wirft die Frage auf, warum ich eigentlich unbedingt aus der flachen Großstadt hierher gezogen bin. Die Aussicht auf die nebelverhangenen Berge und  der andauernde Nieselregen machen die Suche nach einer positiven Antwort nicht leichter.
Im Studentencenter versuchen 150 Studenten der Humanistischen Fakultät, sich möglichst gleichzeitig oder doch zumindest in Fünferreihen durch die Tür zum Auditorium zu pressen, und das während noch die Teilnehmer der vorhergehenden Vorlesung versuchen, den Raum durch dieselbe Tür zu verlassen. Über Sinn und Unsinn dieses Versuchs lässt sich sicher eine philosophische Abhandlung schreiben, denn Sitzplatzmangel gibt es an diesem Tag nicht.
In den nächsten 50 Minuten versuche ich angestrengt, den Ausführungen über die Frage „Was ist Wissenschaft?“ zu folgen, die von einem Mann mit finnischem Namen und finno-schwedischem Akzent auf Norwegisch vorgetragen werden. Es bleibt etwas hängen über normative Wissenschaftsphilosophie  und dass es darum geht, wie Wissenschaft sein sollte, die Antwort auf diese Frage bleibt mir aber verborgen.
Vor mir steht Sib Friele, ein Kaffeebecher in müllabfuhrorange, den ich in der Pause mit Kaffee zu – dank Sib Friele – zehn Kronen füllen will. Die Kaffeemaschine meint es heute etwas zu gut, anstatt zu ca. drei Vierteln mit viel Platz für Milch, ist der Becher heute so gut gefüllt, dass ich nicht einmal den Deckel draufschrauben kann. Auf dem Weg zurück ins Auditorium hinterlasse ich eine Kaffeespur.
Die zweite Stunde vergeht mit der Frage, ob man die Aussage „Alle Schwäne sind weiß“ beweisen kann, indem man sämtliche Schwäne der Welt anguckt, und was es dann für die Hypotese bedeutet, wenn australische Schwäne schwarz sind. Außerdem ist Psychoanalyse eine Pseudowissenschaft (Ha!) mit eindeutigen Parallelen zum Marxismus, nur Einstein bekommt am Ende Recht.
In der Mensa gibt es W-Lan und Pasta mit Huhn, und während ich mich in der Begeisterung über den vortrefflich gelungenen ersten Satz dieses Blogeintrages sonne, steht plötzlich ein Typ mit Locken und Streifenpulli vor mir und fragt mich, wie es läuft. Sprachliche Irrungen zwischen deutschen Gedanken und norwegischem Gehörtem und anfängliche Schwierigkeiten, das Gesicht einer bekannten Person zuordnen zu können, enden ganz offensichtlich in einem vielsagenden Gesichtsausdruck, denn Julius von den Grünen Studenten entschuldigt sich für die Störung, ich sei offensichtlich gerade sehr ins Arbeiten vertieft, und entschwindet, bevor das Sprachgewirr in meinem Hirn sich aufgelöst hat.

søndag 1. september 2013

Das Leben ist schön

Seit nunmehr drei Wochen gehöre ich also der Spezie "Student" an. Das heisst, anstatt jeden Tag um 05:45 aufzustehen, um einen Studenplan abzuarbeiten, der zu mindestens 50% aus Fächern der Sorte "langweilig, aber stressig" besteht, stehe ich jetzt (meistens) um 08:00 auf. Und mein Stundenplan besteht aus einer zweistündigen Vorlesung am Montag, einem zweistündigen Seminar am Dienstag und einem dreistündigen Seminar am Donnerstag. Momentan hab ich nämlich nur zwei Fächer mit den klingenden, abgekürzten Namen "Exphil" und "Exfac". Exphil ist eine Art Philosophie für Anfänger, und zumindest in Norwegen müssen da alle im ersten Semester durch, egal in welche Richtung sie ihr eigentliches Studienfach einmal führt. Eigentlich wollte ich ja nie Philosophie studieren, aber es ist ganz spannend.
Exfac dagegen möchte ich doch ab und zu ganz gerne mit der letzten Silbe der Abkürzung in englischer Bedeutung betiteln. Bisher gehört derartiger Sprachgebrauch aber nicht zur Natur dieses Blogs. Der Kurs "Akademisches Schreiben" besteht darin, über sieben Wochen hinweg, begleitet von fünf Seminaren, ein und denselben Text totzuanalysieren und dabei zwei Entwürfe und eine fertige Examensanalyse per Internet abzugeben. Und so spannend Felszeichnungen in der Region um Stryn auch sein mögen, die rhetorischen Mittel, mit denen die Autorin sie beschreibt, hängen mir langsam zu beiden Seiten meterlang aus den Ohren.
Aber, es sind ja glücklicherweise nur sieben Wochen, und drei davon sind schon um. Danach ist das Thema "Text und Kultur" und ich hoffe doch, dass das ein bisschen interessanter ist.

Ansonsten passe ich wohl weiterhin nicht so ganz in das Schema der Spezie, der ich angehöre, denn meine Freitagabende verlaufen bisher sehr, sehr ruhig und die Zahl der bisher verzehrten Tiefkühlpizzen beläuft sich auf 0.

Ich bin wieder YFU-Mitglied und bald ist das erste Treffen, tanzen war ich auch wieder und dann gibt es noch die Grünen Studenten, in deren Partei ich zwar nicht so bald eintreten werde, die aber zu Debatten und anderen spannenden Veranstaltungen gehen- Und die Grünen sind hier eine ganz kleine, junge Partei, die vielleicht bei der Wahl im Herbst zum ersten Mal ein paar Plätze im Parlament bekommen werden - selbst wenn sie mir am Ende politisch doch nicht gefallen, ist es äusserst interessant,  ihnen von innen bei der Arbeit zuzugucken.

Das Leben ist schön. Bis zum nächsten Abgabetermin.