Im Jahre 1692 trat das Internationale Abkommen zur Geheimhaltung
der Zauberei in Kraft. Über Jahrhunderte hinweg war die magische Gemeinschaft
ein natürlicher Teil der Muggelwelt gewesen – doch angesichts der wachsenden
Bedrohung durch Hexenprozesse und –verfolgungen, die zunehmend auf dem
Scheiterhaufen endeten, entschied man sich, diese Welt zu verlassen und in den
Untergrund zu gehen.
Magie war über Jahrhunderte ein natürlicher
Bestandteil des Alltagslebens. Magische Gegenstände – Fensterblei aus
Kirchenfenstern, Steine vom Friedhof oder getrocknete Bärenkrallen schützten
vor dem Bösen oder erleichterten Geburten und heilten Krankheiten. Magische
Rituale wie etwa Bleigießen halfen, die Ursache diverser Leiden zu finden und
manche Menschen waren in der Lage, alleine durch boshafte Gedanken Unglück und
Krankheiten über Mensch und Tier zu bringen. Man lebte in einer magischen Welt und Magie
beeinflusste die Vorstellungen, die man über Ursache und Wirkung diverser Handlungen
und Situationen hatte.
Mit den richtigen Kenntnissen konnte man Kranke behandeln –
etwa durch Anwendung spezieller Salben in Verbindung mit dem Lesen von
magischen Formeln und Bibelzitaten, oder man konnte Amulette herstellen, die
Neugeborene vor dem Einfluss böser Mächte schützen. Wirkte ein Zauber einmal
nicht, lag dies nicht an der Abwesenheit der Magie – derjenige, der versuchte,
sie zu nutzen, war vermutlich nicht genau oder nicht stark genug.
Es ließ sich natürlich nicht jede Krankheit fortzaubern –
manchmal war eine Krankheit auch eine Strafe Gottes, oder ein Toter fühlte sich
von seinen noch lebenden Verwandten falsch behandelt.
Aber etwa 150 Jahre vor Inkraftreten des
Geheimhaltungsabkommens begannen Teile der nicht-magischen Bevölkerung, sich
gegen ihre magischen Nachbarn zu wenden. Während es für den Mann auf der Straße
einen deutlichen Unterschied zwischen weißer und schwarzer Magie gab, zwischen
denen, die Kranken halfen und denjenigen, die mit bösen Absichten Krankheit und
Tod über ihre Nachbarn brachten, wandten sich Kirche und Justiz vielerorts
gegen jegliche Form von Magie. In Norwegen trat 1592 ein Gesetz in Kraft, das
die Anwendung von Magie bei Todesstrafe verbot. Nicht etwa im dunklen
Mittelalter, sondern in der Zeit zwischen Kopernikus und Newton, folgten eine
Reihe von Hexenprozessen, die für einige Angeklagte auf dem Scheiterhaufen
endeten.
Besonders nach der Reformation, die für die norwegischen
Muggel eine von außerhalb und vor allem von oben durchgeführte, tiefgreifende
Änderung war und gerade in den Anfängen zu vielen religiösen Unsicherheiten
führte, wurden Hexen teilweise recht systematisch verfolgt. Die neue Lehre
stritt die Existenz von Magie nicht ab, wie es heute für viele Muggel der Fall
ist – aber sie nahm an, dass jegliche Anwendung von Magie immer und stets auf den
Teufel zurückzuführen sei und damit verboten gehöre. Man glaubte weiterhin an
die Existenz von Magie, allerdings ging man nun davon aus, dass kein Mensch
selbstständig magische Handlungen ausführen könne – dies war nur möglich, wenn
er oder sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte. Gleichzeitig öffneten
die neuen Gesetze Möglichkeiten, unliebsame Nachbarn der Zauberei anzuklagen
und sie damit aus dem Weg zu schaffen und im Laufe der Jahre wurden neben
einigen Hexen, die tatsächlich mit schwarzer Magie ihren Muggelnachbarn zu
schaden suchten, auch eine Reihe Unschuldiger angeklagt und verurteilt. Während
in höheren Kreisen der Muggelgesellschaft der Glaube an die Existenz von Magie
nach dem Inkrafttreten des internationalen Geheimhaltungsabkommens bald als
Aberglaube abgeschrieben wurde, hielt er sich in weiten Teilen der norwegischen
Bevölkerung noch weit bis ins 19. Jahrhundert und endete erst, als die Muggel
mit Erfindungen wie Ecklecktrizität und Antibaotikas lernten, ihre Probleme
selbst zu lösen.
Ravna schreibt bald Prüfungen. Ganz ohne die Hilfe von
Erinner-michs oder selbstkorrigerender Tinte. Während sie für die tatsächliche
Existenz des Internationalen Abkommens zur Geheimhaltung der Magie keinerlei
Quellen vorzuweisen hat, ist der Rest viel weniger Humbug, als man vielleicht
glauben möchte. Hexenprozesse handeln für uns heute um die unrechtmäßige
Verfolgung unschuldiger Frauen, die in ihrem Lokalmilieu unbeliebt waren oder
mächtigen Männern zu viel Macht hatten. Aber die tatsächlich an den
Hexenprozessen Beteiligten – Richter, Zeugen, Ankläger und Angeklagte –
glaubten an die Existenz von Magie. Nicht alle waren davon überzeugt, manche
Frauen könnten tatsächlich auf ihren Dienstmädchen an Weihnachten zum
Hexensabbat mit dem Teufel reiten und viele Angeklagte waren unschuldig – aber innerhalb
des magischen Weltbilds der Zeit ist es durchaus möglich, dass manch ein
Richter angesichts der vorliegenden Beweise von der Schuld der Angeklagten
überzeugt war, oder das manch einer tatsächlich glaubte, seinen ungeliebten
Nachbarn verhexen zu können – und wenn er dann einen Versuch unternahm, war er
dann tatsächlich noch unschuldig?