Es ist Montag, und trotz des äußerst humane Vorlesungszeitpunkts
von 12:15 bis 14:00 fühle ich mich auf dem Weg zur Uni so verschlafen wie vor
einem halben Jahr, als ich jeden Morgen um 07:55 am Bahnhof stand und darauf
wartete, dass die Berliner S-Bahn mal wieder Verspätung hatte. Nach einem
Wochenende in Os bei meiner Gastfamilie war ich nur zur einer morgendlichen
Stippvisite im Wohnheim, um meine frisch gewaschenen (selbst!gewaschenen)
Klamotten aufs Bett zu schmeißen und die fürs Wochenende im Regal geparkten
Philosophieunterlagen einzupacken.
Die Bergenser Variante der S-Bahn, die entfernt an eine
Straßenbahn erinnert, die versehentlich nach Regionalzugstandarts gebaut wurde,
kommt pünktlich. Allerdings scheint ganz Bergen Montagmittag auf dem Weg
Richtung Zentrum zu sein und ich ergattere nur mit Mühe einen Stehplatz,
eingeklemmt zwischen einem Typen in knallblauer Regenjacke und mit übergroßem
Rucksack (Mensch, diese Touris!) und einer jungen Frau mit pinkem Kopftuch und
einem langen, schwarzen Rock. So einen suche ich schon eine Weile, aber es geht
gegen die norwegischen Gesellschaftsregeln für das Verhalten in öffentlichen
Verkehrsmitteln, danach zu fragen, wo sie ihn gekauft hat. Ganz abgesehen
davon, dass ich mich das nicht mal trauen würde, lebte ich in der
schwatzhaftesten Gesellschaft der Welt.
An der Endstation quillt die Masse aus dem Zug, der Typ mit
dem Monsterrucksack trampelt zweimal auf die Träger meines Rucksacks, den ich
in der Hand trage. Ich ärgere mich nicht, dafür bin ich viel zu müde. Der
Aufstieg zum Studentencenter, in dessen Auditorium mit dem wunderschönen
Spitznamen „Das Ei“ die Vorlesung stattfindet, wirft die Frage auf, warum ich
eigentlich unbedingt aus der flachen Großstadt hierher gezogen bin. Die
Aussicht auf die nebelverhangenen Berge und
der andauernde Nieselregen machen die Suche nach einer positiven Antwort
nicht leichter.
Im Studentencenter versuchen 150 Studenten der
Humanistischen Fakultät, sich möglichst gleichzeitig oder doch zumindest in
Fünferreihen durch die Tür zum Auditorium zu pressen, und das während noch die
Teilnehmer der vorhergehenden Vorlesung versuchen, den Raum durch dieselbe Tür
zu verlassen. Über Sinn und Unsinn dieses Versuchs lässt sich sicher eine
philosophische Abhandlung schreiben, denn Sitzplatzmangel gibt es an diesem Tag
nicht.
In den nächsten 50 Minuten versuche ich angestrengt, den
Ausführungen über die Frage „Was ist Wissenschaft?“ zu folgen, die von einem
Mann mit finnischem Namen und finno-schwedischem Akzent auf Norwegisch
vorgetragen werden. Es bleibt etwas hängen über normative Wissenschaftsphilosophie und dass es darum geht, wie Wissenschaft sein
sollte, die Antwort auf diese Frage
bleibt mir aber verborgen.
Vor mir steht Sib Friele, ein Kaffeebecher in müllabfuhrorange,
den ich in der Pause mit Kaffee zu – dank Sib Friele – zehn Kronen füllen will.
Die Kaffeemaschine meint es heute etwas zu gut, anstatt zu ca. drei Vierteln
mit viel Platz für Milch, ist der Becher heute so gut gefüllt, dass ich nicht
einmal den Deckel draufschrauben kann. Auf dem Weg zurück ins Auditorium
hinterlasse ich eine Kaffeespur.
Die zweite Stunde vergeht mit der Frage, ob man die Aussage „Alle
Schwäne sind weiß“ beweisen kann, indem man sämtliche Schwäne der Welt anguckt,
und was es dann für die Hypotese bedeutet, wenn australische Schwäne schwarz
sind. Außerdem ist Psychoanalyse eine Pseudowissenschaft (Ha!) mit eindeutigen Parallelen
zum Marxismus, nur Einstein bekommt am Ende Recht.
In der Mensa gibt es W-Lan und Pasta mit Huhn, und während
ich mich in der Begeisterung über den vortrefflich gelungenen ersten Satz
dieses Blogeintrages sonne, steht plötzlich ein Typ mit Locken und
Streifenpulli vor mir und fragt mich, wie es läuft. Sprachliche Irrungen
zwischen deutschen Gedanken und norwegischem Gehörtem und anfängliche
Schwierigkeiten, das Gesicht einer bekannten Person zuordnen zu können, enden
ganz offensichtlich in einem vielsagenden Gesichtsausdruck, denn Julius von den
Grünen Studenten entschuldigt sich für die Störung, ich sei offensichtlich
gerade sehr ins Arbeiten vertieft, und entschwindet, bevor das Sprachgewirr in
meinem Hirn sich aufgelöst hat.
Naja, nur weil die Psychoanalyse eine Pseudowissenschaft ist, beweist das ja noch lange nicht, dass sie nichts Wahres spricht. (freu dich nicht zu früh!):P
SvarSlettEs ist ja auch Ansichtssache, ob man dieser Einteilung in "echte" und "Pseudo-" Wissenschaft folgt oder nicht.
SlettAber es war trotzdem gut, das mal zu hören. ;)