mandag 2. september 2013

Weiße Schwäne und Pasta mit Huhn

Es ist Montag, und trotz des äußerst humane Vorlesungszeitpunkts von 12:15 bis 14:00 fühle ich mich auf dem Weg zur Uni so verschlafen wie vor einem halben Jahr, als ich jeden Morgen um 07:55 am Bahnhof stand und darauf wartete, dass die Berliner S-Bahn mal wieder Verspätung hatte. Nach einem Wochenende in Os bei meiner Gastfamilie war ich nur zur einer morgendlichen Stippvisite im Wohnheim, um meine frisch gewaschenen (selbst!gewaschenen) Klamotten aufs Bett zu schmeißen und die fürs Wochenende im Regal geparkten Philosophieunterlagen einzupacken.
Die Bergenser Variante der S-Bahn, die entfernt an eine Straßenbahn erinnert, die versehentlich nach Regionalzugstandarts gebaut wurde, kommt pünktlich. Allerdings scheint ganz Bergen Montagmittag auf dem Weg Richtung Zentrum zu sein und ich ergattere nur mit Mühe einen Stehplatz, eingeklemmt zwischen einem Typen in knallblauer Regenjacke und mit übergroßem Rucksack (Mensch, diese Touris!) und einer jungen Frau mit pinkem Kopftuch und einem langen, schwarzen Rock. So einen suche ich schon eine Weile, aber es geht gegen die norwegischen Gesellschaftsregeln für das Verhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln, danach zu fragen, wo sie ihn gekauft hat. Ganz abgesehen davon, dass ich mich das nicht mal trauen würde, lebte ich in der schwatzhaftesten Gesellschaft der Welt.
An der Endstation quillt die Masse aus dem Zug, der Typ mit dem Monsterrucksack trampelt zweimal auf die Träger meines Rucksacks, den ich in der Hand trage. Ich ärgere mich nicht, dafür bin ich viel zu müde. Der Aufstieg zum Studentencenter, in dessen Auditorium mit dem wunderschönen Spitznamen „Das Ei“ die Vorlesung stattfindet, wirft die Frage auf, warum ich eigentlich unbedingt aus der flachen Großstadt hierher gezogen bin. Die Aussicht auf die nebelverhangenen Berge und  der andauernde Nieselregen machen die Suche nach einer positiven Antwort nicht leichter.
Im Studentencenter versuchen 150 Studenten der Humanistischen Fakultät, sich möglichst gleichzeitig oder doch zumindest in Fünferreihen durch die Tür zum Auditorium zu pressen, und das während noch die Teilnehmer der vorhergehenden Vorlesung versuchen, den Raum durch dieselbe Tür zu verlassen. Über Sinn und Unsinn dieses Versuchs lässt sich sicher eine philosophische Abhandlung schreiben, denn Sitzplatzmangel gibt es an diesem Tag nicht.
In den nächsten 50 Minuten versuche ich angestrengt, den Ausführungen über die Frage „Was ist Wissenschaft?“ zu folgen, die von einem Mann mit finnischem Namen und finno-schwedischem Akzent auf Norwegisch vorgetragen werden. Es bleibt etwas hängen über normative Wissenschaftsphilosophie  und dass es darum geht, wie Wissenschaft sein sollte, die Antwort auf diese Frage bleibt mir aber verborgen.
Vor mir steht Sib Friele, ein Kaffeebecher in müllabfuhrorange, den ich in der Pause mit Kaffee zu – dank Sib Friele – zehn Kronen füllen will. Die Kaffeemaschine meint es heute etwas zu gut, anstatt zu ca. drei Vierteln mit viel Platz für Milch, ist der Becher heute so gut gefüllt, dass ich nicht einmal den Deckel draufschrauben kann. Auf dem Weg zurück ins Auditorium hinterlasse ich eine Kaffeespur.
Die zweite Stunde vergeht mit der Frage, ob man die Aussage „Alle Schwäne sind weiß“ beweisen kann, indem man sämtliche Schwäne der Welt anguckt, und was es dann für die Hypotese bedeutet, wenn australische Schwäne schwarz sind. Außerdem ist Psychoanalyse eine Pseudowissenschaft (Ha!) mit eindeutigen Parallelen zum Marxismus, nur Einstein bekommt am Ende Recht.
In der Mensa gibt es W-Lan und Pasta mit Huhn, und während ich mich in der Begeisterung über den vortrefflich gelungenen ersten Satz dieses Blogeintrages sonne, steht plötzlich ein Typ mit Locken und Streifenpulli vor mir und fragt mich, wie es läuft. Sprachliche Irrungen zwischen deutschen Gedanken und norwegischem Gehörtem und anfängliche Schwierigkeiten, das Gesicht einer bekannten Person zuordnen zu können, enden ganz offensichtlich in einem vielsagenden Gesichtsausdruck, denn Julius von den Grünen Studenten entschuldigt sich für die Störung, ich sei offensichtlich gerade sehr ins Arbeiten vertieft, und entschwindet, bevor das Sprachgewirr in meinem Hirn sich aufgelöst hat.

2 kommentarer:

  1. Naja, nur weil die Psychoanalyse eine Pseudowissenschaft ist, beweist das ja noch lange nicht, dass sie nichts Wahres spricht. (freu dich nicht zu früh!):P

    SvarSlett
    Svar
    1. Es ist ja auch Ansichtssache, ob man dieser Einteilung in "echte" und "Pseudo-" Wissenschaft folgt oder nicht.
      Aber es war trotzdem gut, das mal zu hören. ;)

      Slett